Design und Hamburg gehen Hand in Hand. In den vergangenen Jahren haben sich neue Studios gegründet, andere sind zugezogen, und die Etablierten erfinden sich neu. Die Notwendigkeit, sich über Gestaltung auszutauschen, scheint dringlicher denn je. Auf den sogenannten sozialen Netzwerken begegnen wir perfekten, glatt polierten Portfolios doch die Menschen dahinter finden nur selten den Weg auf unsere Handybildschirme. Schon gar nicht die Insidestories, die „Passion“ und den „Vibe“, der von diesen Personen ausgeht. Welche Haltung, welche Absicht, welche Persönlichkeiten stehen hinter den großen und den kleinen Projekten die Wir als Pint affine Masterstudenten so feiern? Zwölf junge Gestalter:innen machen sich, mit der Begleitung von Prof. Lars Harmsen und Prof. Jens Müller auf den Weg, den digitalen Raum hinter sich zu lassen. Drei Tage, sieben Begegnungen – mit Menschen, die unsere visuelle Umwelt prägen: auf der Straße, im Theater, zu Hause. Zwischen Risodruck und Redaktion, zwischen Handwerk und Haltung entsteht ein anderes Gespräch über Design, direkter, ehrlicher, greifbarer. Hamburg zeigt sich dabei nicht nur sonnige Kulisse, sondern als lebendiges Netzwerk, das sich bewegt, verbindet und inspiriert.

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Coffee Table Mag
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Kick-Off ist im Coffee Table Mags Store. Hier finden sich unter anderem (inter)nationale Independent Magazine wie Fukt, Tush, Homme girls und auch die neueste Ausgabe von Slanted, Cairo.
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Johannes Erler
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Wir sitzen vor Tellern mit Keksen, Getränken und Gummibärchen. Es fühlt sich an, als wären wir auf einer Wohnzimmercouch gelandet, bereit für die Movie-Night. Main Character: Johannes Erler, kurze Einordnung: Er zählt zu den prägenden Stimmen des deutschen Grafikdesigns, arbeitete mit Lo Breier und Neville Brody, gründete 1993 Factor Design und später das Bureau Johannes Erler. Zwischenzeitlich war er Art Director des stern. Ein Gestalter, der Haltung zeigt, auf dem Papier wie im Gespräch und mit viel Verständnis für Gestaltung und Journalismus. „Presse, Podium, Party.“ sagt Johannes und wir erfahren viel über laufende Projekte wie zum Beispiel das Erscheinungsbild des Thalia Theaters und Kulturpublikationen. Johannes zitiert McLuhan mit „The medium is the message“ und betont, wie wichtig ihm das Wissen über Typografie ist, denn so ist Kommunikation in gleichem Maße zuverlässig und schön. Aus einem Momentum heraus greift Johannes zum Telefon. „Oliver, hast du Zeit am Freitag eine Gruppe von Studierenden zu treffen?“ „Zwölf Uhr dreißig passt, ja“ und so geht es für uns weiter – mit einem Termin, der sich noch als ein Termin der etwas anderen Art herausstellen sollte, und mit dem guten Gefühl, dass man hat wenn jemand mit Hingabe und engagement seine Leidenschaft geteilt hat. Danke Johannes.
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Studio Other Types
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Charlotte Gosch und Jona Caspar Bähr, beide aus dem Ruhrgebiet kennen sich, obwohl sie nicht weit von einander groß geworden sind, seit dem Studium. Zusammen konzipieren die beiden Drucksachen wie Bücher, Plakate, Magazine, Kataloge für kulturelle Institutionen, Künstler*innen, Filmemacher*innen oder Musiker*innen. Und das mit vollem Einsatz analoger Mittel. Durch Fotosetups, Wasserexperimente oder Zufälle ist viel entstanden. Charlotte und Jona wissen sich auch zu Helfen, und beziehen sich gerne auf die Designer*innen um sie herum. Netzwerk ist für die Beiden sehr wichtig. Sie empfangen und in Ihrem neuen Studio, in der Speicherstadt, in das sie erst vor einem halben Jahr eingezogen sind.
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Chris von Bareis+Nicolaus
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Mit in den Räumlichkeiten ist auch Chris von Bareis+Nicolaus, ein multimedia design studio mit Sitz in Stuttgart und Hamburg. Mit leckeren Franzbrötchen und gutem Content von Charlotte, Jona und Chris lässt es sich gut 2h quatschen. Dabei geht es nicht nur um Ihre Arbeit, sondern auch um persönliche Erfahrungen, den Einstieg als Selbstständige, Krisen wie Corona und wie es eben so läuft. Jona verrät uns: „Zwei von drei Dingen sollten immer passen: das Geld, die Leute oder der Inhalt. Stimmt das Geld und der Inhalt, dann kommt man mit den Leuten auch irgendwie klar“ und lacht kurz. „Aber ey, wenn das Geld nicht stimmt und die Leute nicht passen dann …“. Wir rechen die Platten die die beiden Gestalten haben durch, blättern durch Filmmaker Magazine — eine vierteljährlich erscheinende Publikation die die beiden schon lange begleitet und den Ausstellungskatalog zu Thomas Manns Der Zauberberg. Die Gestaltung von Büchern ist die größte Leidenschaft der beiden. Immer einzigartig, niemals Schema F und spannend bis zur letzten Seite ist hier das credo. Und so geht es weiter, mit dem Bus und mit dem Rad queer durch Hamburg zum nächsten Treffen mit Büro Klass in Altona.
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Klass – Büro für Gestaltung
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Büro KLASS ist ein feministisches Grafikdesign-Studio, ein Raum, in dem soziales, diverses und ökologisches Miteinander gleichberechtigt mit gestalterischen Zielen existiert. Im Regal reihen sich die Buchrücken, dazwischen stapeln sich Magazine, Papiere, Muster. Auf dem Fenster kleben die „Immaculate Heart College Art Department Rules“, daneben Sticker mit Botschaften wie „Equal love = equal rights = equal humans“. Das Licht fällt auf Riso Prints und Poster an der Wand. Hier checkt man relativ schnell, dass soziales, diverses und ökologisches Miteinander selbstverständlich zum Gestalten dazugehört. Ihr Schwerpunkt liegt auf Buchcovern, Editorial Design und visuellen Identitäten. Doch was sie besonders macht, ist die Art, wie sie zusammenarbeiten: Am Anfang jedes Projekts steht die Frage, wer es am optimalsten umsetzen könnte. Hier ist klar: Jede bringt eigene Stärken, Perspektiven und Interessen mit. So passiert es, dass an einem bestimmten Punkt im Prozess die Arbeiten und Aufgaben zwischen den fünf Designerinnen hin und her wandern. 5 Köpfe, 10 Gehirnhälften, 5 Bauchgefühle, die alle gleichberechtigt zusammen arbeiten.
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Die Zeit
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Mit dem Aufzug geht es in den dritten Stock. Die Türen schließen sich. Es piept. Zu viel Gewicht. Lars und seine Kamera müssen warten, aber ein paar Sekunden später steht er grinsend wieder neben uns. Über die Treppe geht es weiter bis in die fünfte Etage. Schon im Flur hängen Ausdrucke der nächsten Ausgabe an den Wänden, Themenzettel, schnelle Notizen. Dieses Mal sind wir mit einer eigenen Blattkritik gekommen. Die letzte Ausgabe lag vorher auf unserem Seminarisch, Seite für Seite haben wir sie durchgeblättert. Dabei haben wir Fotografie, Illustration, Typografie diskutiert, neu gedacht und hinterfragt. Design hat bei der ZEIT traditionell einen hohen Stellenwert. Dadurch entsteht eine visuelle Kultur, die relevant und innovativ ist und nicht bloß dekorativ. Jetzt gemeinsam darüber zu sprechen hat einen spannenden Einblick in die Arbeit des Teams gegeben. Entscheidungen entstehen im Gespräch, am Bildschirm, über den Tisch hinweg. Jede Geschichte wird als Individuum gesehen, jede bekommt ihren visuellen Touch, ihre Haltung. Und am Ende bleibt das, was zählt: neugierig bleiben, zuhören, Emotionen zulassen.
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Zweifel
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Der letzte Tag beginnt mit Zweifeln. Wo müssen wir denn hin und schaffen wir es alle pünktlich? Das Studio Zweifel von Simon liegt auf der Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg, zwischen alten Industriekanälen und Deichen. Die Geschichte über diesen Ort, veranschaulicht sehr gut, wie Wichtig gesellschaftskritische Gestaltung ist. Simon geht dabei der Frage nach, wie wir in Zeiten von multiplen Krisen überhaupt noch als Gestalter:innen arbeiten und ganz konkret zu einem positiven Wandel beitragen können. Es entwickelt sich ein Gespräch über Haltung, Inhalten und vor allem Geld. Es ist nicht unbekannt, dass Gestalter:innen und vor allem jüngere sich unter Ihrem Wert verkaufen. Wenn das Geld da ist dann nicht das geld kürzen sondern die leistung. Und lieber Herzensprojekte dann gleich umsonst machen. Dann hat man auch was soziales beigetragen. Er erzählt uns von seinen Kriesenbriefe und wie dies auch das erste mal war, etwas selbst zu publizieren. Die „Krisenbriefe“ sind eine Serie, die auf politische und gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. Gedruckte Projekte entstehen oft auf Recyclingpapier, mit Risografie oder anderen nachhaltigen Verfahren. Wir schauen auf die Wände und geben uns die Bücher weiter, man erkennt, Simons Stil ist geprägt von klarer Typografie und reduzierten Formen. Wir wären gerne noch länger geblieben, doch mussten wir die Fähre noch erwischen. Und so liefen wir im Gänsemarsch über den Deich und Spangen in letzter Sekunde noch aufs Boot. Im Hamburgs typischen Nebel ging es durch den Hafen auf die Elbe hinaus. Wieder am Landungssteg angekommen stärkten wir uns mit einem Kaffee und schnackten.
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Oliver Wurm
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Im Wurmloch, wie Oliver Wurm es selber lachend nannte, versammelten wir uns um einen großen Tisch. Überall sind Magazine und Bücher, Panini Karten und Hefte. Man will sofort alles anschauen. Als Oliver anfängt zu erzählen, sind wir alle hooked. Hier geht es um Autor:innenschaft. Konzeption, Ideen. Es geht ums Mutig sein, Risiken auf sicht nehmen. Tricksen und gegen den Strom schwimmen. An das Vertrauen in sich und darauf, dass man immer weiter kommt. Es ging darum, Storytelling aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und nicht nur einen guten Beitrag zu schaffen, sondern das ganze macht es aus. Oliver macht, und zwar aus Überzeugung. Gemeinsam, da viel vom Fußball gesprochen wurde, setzten wir mit einem Teamfoto ein Zeichen „Print is not dead“, auch wenn die Großen das wohl noch immer nicht verstanden haben.
Instagram @oliver_Wurm
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Paperlux
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Unser Abschluss ist mit dem Duo Soraya & Max Kuehne / Paperlux. Sie sind Inhaber und Gründer des Designstudios Paperlux , versteckt in einem Hinterhof im Karolinenviertel. Die Geschichte über, wie die drei Säulen: Buchbinderei, Store und Studio zusammengefunden haben, ist eine über das Miteinander von Innovation und Tradition, Kreativität und Handwerk und der Lovestory der beiden, denn all das bringt sie als Paar zusammen. Der Store, in dem wir stehen, geht smooth in den historischen Werksraum der Buchbinderei über. Über zwei Etagen bekommt man hautnah mit, mit welchem Handwerklichen power die beiden hinter den Produkten und der Kreativ-Leistung stehen. Zwischen Material Regalen, Prägemaschinen, und über Setzkästen sprechen wir. Nach einer Führung durch die Räume entdecken wir Eigenkreationen, Notizhefte, der Bestseller One Word a Day, japanische Papeterie und sorgfältig ausgewählte Design-Publikationen. Danke für den spannenden Einblick in euer Creative Universum!









Drei Tage, sieben Begegnungen. Wow. Die Gespräche in Ateliers, Redaktionen und Werkstätten haben gezeigt, wie unterschiedlich Design gedacht, gelebt und vermittelt werden kann. Zwischen Typografie, Haltung und Handwerk wurde deutlich: Gutes Design entsteht immer aus Begegnung mit Menschen, mit Orten, mit Ideen.
Und was uns besonders bleibt, ist die Offenheit, mit der alle ihre Erfahrungen, Zweifel und Überzeugungen geteilt haben. Jede:r der Gestalter:innen hat auf eigene Weise gezeigt, dass Design gesellschaftliche, ökologische und kommunikative Verantwortung trägt. Dass Haltung sichtbar wird, wenn man zuhört. Und dass Gestaltung dann am stärksten ist, wenn sie verbindet.
Fotos: Lars Harmsen